Das Wiki Institute ist ein Beispiel für den spätestens seit der Entdeckung des Internets sich ereignenden Paradigmenwechsel in der Kunst, welcher sich allerdings mit den neuen, partizipativen Möglichkeiten der Technologien nicht auf die Kunst beschränkt. Pointiert lässt sich feststellen, dass dieser Umschwung wesentlich die Rolle des Rezipienten verändert. Wenn es in traditioneller Rezeptionsästhetik, aufbauend auf Duchamps Diktum, erst der Betrachter stelle das Werk her, hieß, dass im Vollzug der Betrachtung sich das Werk ereigne, so hebt das Wiki Institute diese Grenze auf. Die Konsequenz wäre dann die, dass ohne die Teilnahme und Nutzung der Umgebung ein gewichtiger Teil der Arbeit unerfüllt bleibt. Mit Blick auf die Geschichte des Projekts ist dieser Sachverhalt zu bestätigen. Denn der Anteil an Beteiligung ist seit 2004 stark rückläufig, so dass das Institut plötzlich ohne eine nennenswerte Anzahl an Teilnehmern wieder auf dem Stand eines Rezeptionsangebots angekommen ist. Jedoch bleibt die Möglichkeit der Teilnahme und Co-Produktion ja bestehen. Damit ändert sich nicht die Intention, wohl aber der Umfang der Arbeit selbst. Von seiner inhaltlichen Ausrichtung spielt das Wiki Institute in Teilen auf die spätestens seit DADA und Kurt Schwitters in die Kunst eingeführten poveren Materialien aus dem Abfall unserer Gesellschaften an. Jedoch findet hier keine »Müllveredelung« statt. Büttner bewundert auch nicht explizit das Herrliche im Unansehnlichen wie etwa Kurt Schwitters. Sucht man nach kunsthistorischen Vorläufern, so findet man diese am ehesten in der Fluxus-Bewegung, welche den Unterschied zwischen Kunst und Leben, Betrachter und Akteur in gewisser Weise zu verwischen versuchte. Einer derjenigen Künstler, welche sich appellativ immer wieder an das Publikum wandten, war Addi Køpcke. Dieser forderte in seinen Arbeiten explizit zur Fortsetzung und Teilhabe an den bildnerischen Prozessen auf, um »die Angst vor dem eigenen Schicksal zu verlieren«. Im Unterschied zu Køpcke, dessen Werke einem traditionellen, dem realen, sicht und tastbaren Objekt- und Kunstbegriff verpflichtet sind, bieten sich mit dem Internet und der beschriebenen Software erheblich erweiterte Möglichkeiten der Anteilnahme, und im Unterschied zu Køpcke kann Büttner auf die Tradition prozessual-partizipativer Kunst aufbauen. Diese besitzt ein historisches Paradigma, das auf verschiedenen Ebenen mit der Arbeit Büttners vergleichbar ist. Zur Documenta 1992 präsentierte die Künstlergruppe Van Gogh TV das Projekt Piazza Virtuale. Versucht wurde, während der 100 Tage der Ausstellung »die Idee von Zusammentreffen und Dialog mit und zwischen dem Publikum zu verstärken«. Dies geschah mittels eines Fernsehkanals, den technische Geräte erweiterten, so dass die Besucher direkt auf das Programm Einfluss nehmen konnten. Laut Giannetti hatte dies folgende Implikate und Folgen:
»Das Fehlen von Richtlinien und Anweisungen, Moderatoren und Sprechern, vorgefertigten Skripts und Konzepten hat äußerst dynamische Effekte zur Folge. Die Absicht von Van Gogh TV ist es gerade, diese Effekte einer nichtlinearen und nicht-diskursiven Informationsproduktion zu generieren und ein nicht-kommerzielles interaktives Fernsehen zu schaffen, das vollkommen von korporativen Macht- oder Kontrollsystemen abgekoppelt ist. Die User erfüllen somit eine zweifache Funktion: Sie sind gleichzeitig Publikum, Mitwirkende und Akteure. Dies impliziert eine Doppelrolle zum einen als Beobachter des ablaufenden ›Spektakels‹ und als Mitgestalter der Information. Sie sind User und zur gleichen Zeit Erzeuger des Netzes.«
In gewissem Sinne trifft dies auch für das Wiki Institute zu. Im Unterschied zur nicht-apparativen Kunst der 1970er Jahre muss Büttner nicht mehr offensiv zur Teilnahme (»Fill with own imagination!«) auffordern. Internet-Vertraute nehmen schon die Oberfläche als Partizipationsangebot wahr. Jedoch besteht zum historischen Projekt ein großer Unterschied: Anlassbezogen, zur Documenta durchgeführt, konnte es auf ein Weltpublikum bauen. Dies legt [DANIELS 2002], S. 250, eher als Nachteil aus, wenn er – wie bereits im Kapitel 3.1.2 zur Relation zwischen Netz- und Medienkunst zitiert –wertet: »Das Projekt scheitert an seinem Erfolg, denn der Andrang auf die ›Piazza Virtuale‹ lässt die Kommunikation auf ein banales Hallo-Hallo-Niveau sinken, zumal keinerlei thematische Vorgaben existieren.« Allerdings bleibt der Autor hier dem Gedanken einer quasi »seriösen« Sinnproduktion verpflichtet, an deren Ende möglicherweise wieder ein klassisches Objekt, und sei es auf der Ebene der Bereicherung durch eine außergewöhnliche Erfahrung, steht. Jedoch verkennt er damit das Experimentelle dieser Arbeit, eine Qualität, die gleichermaßen das Wiki Institute auszeichnet. Und an dieser Stelle wird die Kehre zum Werkbegriff notwendig, welche es erlaubt, abschließend das Wiki Institute als mutuale Netzkunst zu begreifen.
(Text der Promotion von Matthias Kampmann entnommen: http://www.weisskunst.de/mss/20100629mw_diss.pdf, Kapitel 5.2.5.1; Fussnoten entfernt)
Das Wiki Institute, in der obigen beschrieben Form, existierte bis ca. 2013. Danach wurde es abgeschaltet und nicht wieder in Betrieb genommen. Ein lokales Backup existiert. Mit dem Projekt „History of FfK“ wurde das Wiki Institute wiederbelebt, da es die geeignete Plattform für das Vorhaben ist.
Die aktuelle Wiki-Software (dokuWiki) entspricht nicht der Software der ersten Version des Wiki Institute (TWiki).
Was hierher führt: